Zur beabsichtigten Rückholung des Atommülls
aus Asse II:
Die leitende Frage, die 2010 zum Rückholungsbeschluss führte, war:
Wie kann das Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel stillgelegt werden,
ohne dass gefährliche Mengen Radioaktivität in die Umwelt gelangen?
Auch wenn demnächst endlich die Planungen für ein technisches
Konzept zur Rückholung vorgelegt werden sollten, bleibt die Frage offen,
ob diese Planungen überhaupt rechtssicher sind. Entscheidend dafür sind
das Strahlenschutz-Recht und das Bergrecht.
Die Rückholung des Atommülls darf rechtlich nur dann in Angriff genommen werden, wenn das Strahlenschutz-Recht sie notwendig macht. Und das Bergrecht bestimmt, welche Baumaßnahmen unter Tage überhaupt zulässig sind.
Sowohl die gegenwärtig gültige Strahlenschutzverordnung als auch das aktuelle Bergrecht stellen unseres Erachtens eine Rückholung des Atommülls aus Asse II in Frage – dies sollte bei der Vorlage einer Rückholungsplanung berücksichtigt werden.
Der Asse II Koordinationskreis fordert daher die Umweltministerien in Berlin und Hannover, das Landesbergamt, den Asse II-Betreiber BGE und die hiesigen Bundestags- und Landtagsabgeordneten auf, die Rechtslage für die Rückholung des Atommülls aus der Schachtanlage Asse II eindeutig zu klären.
Größtmögliche langfristige Sicherheit von Mensch und Natur vor Belastung
durch radioaktive Teilchen aus Asse II muss gewährleistet werden!
Im Folgenden zeigen wir die Problematik bezüglich des Strahlenschutz-
Rechtes, des Bergrechtes und des Atomrechtes auf.
Zum Strahlenschutz-Recht:
Das Strahlenschutz-Recht definiert u.a. die zulässige Belastung mit Radioaktivität und die Errechnung dieser Belastung.
In den letzten Jahren wurden jedoch für Asse II a) das Ausbreitungsmodell für Radioaktivität gewechselt und b) die Belastungsrechnung gemäß Strahlenschutz-Recht geändert, indem Sicherheitspuffer entfernt wurden und jetzt bei gleich gebliebenem Grenzwert höhere Belastungen zulässig sind. Das hat Folgen für den Umgang mit Asse II.
Der erste Betreiber von Asse II als Atommüll-Deponie, das Helmholtz-Zentrum München (HZMGU) wollte das Bergwerk mitsamt dem Atommüll darin fluten. Doch für dieses „Vollverfüllungskonzept“ hatte 2007 das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bei seiner Überprüfung der Berechnung der Ausbreitung über den Gaspfad eine Grenzwertüberschreitung um das 4-fache in 150 – 750 Jahren prognostiziert. Diese Berechnung war mit dem sogenannten
„Gauß-Fahnenmodell“ vorgenommen worden. Das BfS forderte damals das gesetzlich vorgeschriebene sicherheitsbedachte, „konservative“ Vorgehen ein, um sicherzustellen, dass im tatsächlichen Betrieb der Anlage auch unter ungünstigen Umständen die Grenzwerte für die Strahlenexposition eingehalten werden.
Den Ausschlag für den Beschluss zur Rückholung des Atommülls im Jahr 2010 ging auf die richtige Einsicht zurück, dass bei allen anderen Optionen der Schließung (Verbleib oder Umlagerung) der Langzeitsicherheitsnachweis nicht erbracht werden konnte. Beim Verbleib des Atommülls in Asse II würde zu viel Radioaktivität nach draußen dringen, das ist nicht verantwortbar.
Doch ab dem Jahr 2015 wechselte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zu einem anderen Modell für die Ausbreitung, dem ARTM. Das reduzierte die theoretischen Belastungswerte durch Radioaktivität schon auf etwa ein Zehntel, obwohl sich der tatsächliche Umfang der radioaktiven Teilchen in der Abluft (in Becquerel) kaum verändert hat. Außerdem wurde die Höhe des Abluftschornsteins (Diffusor) von Asse II deutlich größer angenommen als es wirklich ist.
Dann wurde im Januar 2019 die Strahlenschutzverordnung geändert. Dabei wird nur noch eine Aufenthaltsdauer im Freien von 1760 Stunden im Jahr angenommen statt vorher das komplette Jahr mit 8760 Stunden zu Grunde zu legen. Für die Einverleibung von Radioaktivität durch Essen und Trinken werden nur noch die Lebensmittel berechnet, die wirklich vor Ort angebaut werden statt anzunehmen, dass alle vor Ort erzeugt werden. Es wird auch nicht mehr die ungünstigste Einwirkungsstelle zugrunde gelegt, sondern eine sogenannte realistischere.
Zudem wird der Wechsel vom Gauß-Fahnenmodell zum ARTM-Modell auch hier vollzogen.
Damit wurden verschiedene Sicherheitspuffer entfernt, die vorher die Anwohnerinnen und Anwohner von Atomanlagen und das ungeborene Leben halbwegs vor übermäßiger Belastung schützen. Diese Puffer sind sehr sinnvoll, denn die Auswirkungen von radioaktiven Partikeln in empfindlichen Menschen (Embyonen und Kinder) sind wesentlich stärker als im hypothetischen
Standard-Menschen, der männlich und 70 Kilogramm schwer ist.
Durch Rechtsänderung könnte also eine fiktive Sicherheit errechnet werden. Das könnte auch dazu führen, dass nun der sogenannte Langzeitsicherheitsnachweis auch für Asse II
theoretisch ohne Rückholung erbracht werden kann.
Durch diese Veränderungen in der Berechnung ergibt sich aber lange noch keine bessere Situation für Asse II. Die Laugenzuflüsse liegen immer noch bei ca. 12-13 Kubikmetern pro Tag. Das Deckgebirge und der Salzstock Asse II sind in Bewegung und von vielen Rissen und damit Wegsamkeiten durchzogen. Diese können Wasser führen und das tun sie zum Teil ja bereits. Ein sicherer Abschluss zur Umwelt (Biosphäre) wird sich nicht mit geschönten Berechnungsmodellen herstellen lassen. Würde das Flutungs-/Verfüllungskonzept umgesetzt werden, dann muss mit einer Grundwasser-Verseuchung auch durch Plutonium und Arsen gerechnet werden.
Zum Bergrecht:
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hatte vor der Verfüllung auf der 750-Meter-Sohle, auf der der größte Teil des Atommülls eingelagert wurde, mehrfach betont, man könne für die
Rückholung alle Bereiche wieder auffahren – also öffnen. Das niedersächsische Landesbergamt (LBEG) hatte dem bis Ende 2019 nicht widersprochen.
Mittlerweile wurde geäußert, dass gemäß der Allgemeinen Bergverordnung (ABVO) des Bergrechts beim Auffahren neuer Räume in Salz Sicherheitsabstände von 150 Metern oder sogar 200 Metern für die Stabilität erforderlich sind. Diese großen Abstände erscheinen im Salzbergwerk Asse II unmöglich.
Die Allgemeine Bergverordnung sollte dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als damaligem Asse II Betreiber bekannt gewesen sein. Von daher ist es doppelt unverständlich, dass das BfS unter dem Präsidenten Wolfram König die Verfüllung umgesetzt hat, gegen den Widerspruch von Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe Option Rückholung und gegen den Protest des Asse II-Koordinationskreises.
In der Anlage zu dieser Presseerklärung wird gezeigt, wie klein die Bereiche sind (in grün), die auf der 750-Meter-Sohle für das Auffahren neuer Räume als rechtlich geeignet gelten können.
Zum Atomrecht:
Auch das Atomrecht bietet eine Hintertür, um die Rückholung des Atommülls zu umgehen. In §57b des Atomgesetzes heißt es in Absatz 2:
„Die Rückholung ist abzubrechen, wenn deren Durchführung … aus radiologischen, … sicherheitsrelevanten Gründen nicht vertretbar ist … oder die bergtechnische Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann“ und
„Sind die Rückholung sowie alle Optionen zur Stilllegung nur unter Abweichung von gesetzlichen Anforderungen möglich, ist die Schachtanlage Asse II mit der nach einer Abwägung der Vor- und Nachteile bestmöglichen Option stillzulegen.“
Hier ist nicht festgelegt, wer diese Abwägung durchführt und wie sie zu überprüfen und ggf. rechtlich anzufechten ist.
Presseerklärung des Asse-II-Koordinationskreises vom 17. April 2020
Hintergrundinformationen zur rechtlichen Situation
Im Asse II – Koordinationskreis arbeiten unter anderem mit: Aktion Atommüllfreie Asse Wolfenbüttel • AufpASSEn e.V. •
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Thomas Wolfenbüttel • Jugendumweltnetzwerk Niedersachsen, AK Asse • Vahlberger Asse- Aktivisten • Wolfenbüttler AtomAusstiegsGruppe (WAAG) • sowie Einzelpersonen
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